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Biegen, nicht brechen

Ein neues Werkzeug ermöglicht wirtschaftliches Glasdesign und bewahrt vor einem Scherbenhaufen

Wer kennt sie nicht, die großartigen Fassaden der von einfallsreichen Architekten gestalteten Gebäude. Hinter der spektakulären Glasfassade lauern allerdings einige Probleme: Wie macht man gebogenes Glas und wie rechnet man aus, wie man biegt, ohne dass alles in tausend Scherben zerspringt?

InformatikerInnen am ISTA (Institut of Science and Technology Austria) entwickeln ein Designwerkzeug, das den Einsatz kosteneffizienter Technologie für gebogene Glasscheiben ermöglicht. Das Werkzeug basiert auf einem tiefen neuronalen Netzwerk und ermöglicht die freie Gestaltung von ansprechenden Glasfassaden.

Wie baut man einen Wolkenkratzer aus Glas?

Gebogene Glasfassaden können atemberaubend schön sein, aber traditionelle Bauweisen sind extrem teuer. Scheiben werden in der Regel durch „Heißbiegen“ hergestellt, bei dem Glas erhitzt und dann geformt wird. Das funktioniert, ist aber energieintensiv und teuer.

Kaltgebogenes Glas ist eine billigere Alternative, bei der flache Glasscheiben gebogen und direkt auf der Baustelle an Rahmen befestigt werden. Angesichts der Zerbrechlichkeit des Materials ist es jedoch äußerst schwierig, eine Form zu finden, die sowohl ästhetisch ansprechend als auch herstellbar ist.

Wann bricht das Glas? – eine komplizierte Rechnung

Das Design kaltgebogener Glasfassaden stellt ein enormes rechnerisches Problem dar. Ruslan Guseinov, Postdoc am IST Austria erläutert: „Es ist zwar möglich zu berechnen, wann ein einzelnes Paneel bricht, aber die gesamte Fassade, die oft Tausende von Paneelen umfasst, ist einfach zu komplex für herkömmliche Designerwerkzeuge, wie sie Architekten verwenden.“

Mit einem interaktiven, datenunterstützten Designwerkzeug können ArchitektInnen nun genau dies tun.

Das neue Design-Werkzeug: Schönes wird machbar!

Die von WissenschafterInnen (IST Austria, TU Wien, UJRCKAUST) entwickelte Software ermöglicht es Gebäudefassaden mit der Computermaus einfach zu verändern und sofort Rückmeldung zu erhalten, wie das Gebäude aussieht und ob es auch herstellbar ist.

Wie geht das?

Die Software basiert auf einem tiefen neuronalen Netzwerk, das mit speziellen physikalischen Simulationen trainiert wurde, um die Formen und die Herstellbarkeit von Glasscheiben vorherzusagen. Sie ermöglicht nicht nur die interaktive Anpassung eines Entwurfs, sondern auch die automatische Optimierung eines gegebenen Designs.

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Tausendmal probiert

Das Ziel des Teams,  war es eine Software zu entwickeln, die es auch Laien ermöglicht, eine Glasoberfläche interaktiv zu bearbeiten. Das heißt, das Gebäude gestalten und gleichzeitig Echtzeitinformationen über die gebogene Form und die damit verbundenen Spannungen für jedes einzelne Paneel zu erhalten.

Die Idee:

Die WissenschafterInnen entschieden sich für einen datengesteuerten Ansatz: Jede übliche Glasform wurde in eine Verzeichnis eingetragen. Das Team führte mehr als eine Million Simulationen durch, um eine Datenbank möglicher gebogener Glasformen aufzubauen, die in einem in der Architektur üblichen CAD-Format (Computer-Aided Design) dargestellt wurden.

Vorschläge aus dem Netzwerk für das Design

Danach wurde ein tiefes neuronales Netz auf Basis dieser Daten trainiert. Die Folge: Das Netzwerk schlägt eine oder zwei mögliche Glasformen entsprechend der Inputs vor. Diese gefundenen Designs können dann in einer von ArchitektInnen entworfenen Fassade verwendet werden.

Dass dieses Netzwerk mehrere Formen vorhersagt, ist „einer der überraschendsten Aspekte des tiefen neuronalen Netzwerks“, fügt Konstantinos Gavriil, Co-Erstautor und Forscher an der TU Wien, hinzu. „Wir wussten, dass ein bestimmter Rahmen das Paneel nicht eindeutig definiert, aber wir hatten nicht erwartet, dass das Netzwerk in der Lage sein würde, mehrere Lösungen zu finden.

Schlussendlich können die Nutzer dieser neuen Technik verändern, ausprobieren und anpassen; sie können Varianten für Kaltbiegen oder Heißbiegen entwickeln oder eine  „Best Fit“-Lösung wählen, die das System vorschlägt.

„Wir glauben, dass wir ein neuartiges, praktisches System geschaffen haben, das geometrisches und fertigungsgerechtes Design miteinander verbindet und es den DesignerInnen ermöglicht, effizient ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen, ästhetischen und technischen Kriterien zu finden“, schließt Bernd Bickel, Professor am IST Austria.

Infos & Quellen:

Publikation  K. Gavriil, R. Guseinov, J. Pérez, D. Pellis, P. Henderson, F. Rist, H. Pottmann, B. Bickel. 2020. Computational Design of Cold Bent Glass Façades. ACM Transactions on Graphics. DOI: https://doi.org/10.1145/3414685.3417843

http://visualcomputing.ist.ac.at/publications/2020/CDoCBGF/

Dieses Projekt wurde im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont 2020 der Europäischen Union unter der Förderungsnummer 675789 – Algebraic Representations in Computer-Aided Design for complEx Shapes (ARCADES), vom Europäischen Forschungsrat (ERC) unter der Förderungsnummer 715767 – MATERIALIZABLE: Intelligent fabrication-oriented Computational Design and Modeling und im SFB-Transregio “Discretization in Geometry and Dynamics” durch die Förderung I 2978 des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) gefördert. F. Rist und K. Gavriil wurden teilweise durch KAUST-Basisförderung unterstützt.

Institute of Science and Technology Austria

office@ist.ac.at

Am Campus 1 3400 Klosterneuburg

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